Facta Ficta

vitam impendere vero

Nietzsche thinking

[MA-WS-33]

Elemente der Rache

Das Wort „Rache“ ist so schnell gesprochen: fast scheint es, als ob es gar nicht mehr enthalten könne, als Eine Begriffs- und Empfindungswurzel. Und so bemüht man sich immer noch, dieselbe zu finden: wie unsere Nationalökonomen noch nicht müde geworden sind, im Worte „Werth“ eine solche Einheit zu wittern und nach dem ursprünglichen Wurzel-Begriff des Werthes zu suchen. Als ob nicht alle Worte Taschen wären, in welche bald Diess, bald Jenes, bald Mehreres auf einmal gesteckt worden ist! So ist auch „Rache“ bald Diess, bald Jenes, bald etwas sehr Zusammengesetztes. Man unterscheide einmal jenen abwehrenden Zurückschlag, den man fast unwillkürlich auch gegen leblose Gegenstände, die uns beschädigt haben (wie gegen bewegte Maschinen), ausführt: der Sinn unserer Gegenbewegung ist, dem Beschädigen Einhalt zu thun, dadurch dass wir die Maschine zum Stillstand bringen. Die Stärke des Gegenschlags muss mitunter, um diess zu erreichen, so stark sein, dass er die Maschine zertrümmert; wenn dieselbe aber zu stark ist, um vom Einzelnen sofort zerstört werden zu können, wird dieser doch immer noch den heftigsten Schlag ausführen, dessen er fähig ist, — gleichsam als einen letzten Versuch. So benimmt man sich auch gegen schädigende Personen bei der unmittelbaren Empfindung des Schadens selber; will man diesen Act einen Rache-Act nennen, so mag es sein; nur erwäge man, dass hier allein die Selbst-Erhaltung ihr Vernunft-Räderwerk in Bewegung gesetzt hat, und dass man im Grunde nicht an den Schädiger, sondern nur an sich dabei denkt: wir handeln so, ohne wieder schaden zu wollen, sondern nur, um noch mit Leib und Leben davonzukommen. — Man braucht Zeit, wenn man von sich mit seinen Gedanken zum Gegner übergeht und sich fragt, auf welche Weise er am empfindlichsten zu treffen ist. Diess geschieht bei der zweiten Art von Rache: ein Nachdenken über die Verwundbarkeit und Leidensfähigkeit des Andern ist ihre Voraussetzung; man will wehe thun. Dagegen sich selber gegen weiteren Schaden sichern, liegt hier so wenig im Gesichtskreis des Rachenehmenden, dass er fast regelmässig den weiteren eignen Schaden zu Wege bringt und ihm sehr oft kaltblütig vorher entgegensieht. War es bei der ersten Art von Rache die Angst vor dem zweiten Schlage, welche den Gegenschlag so stark wie möglich machte: so ist hier fast völlige Gleichgültigkeit gegen Das, was der Gegner thun wird; die Stärke des Gegenschlags wird nur durch Das, was er uns gethan hat, bestimmt. — Was hat er denn gethan? Und was nützt es uns, wenn er nun leidet, nachdem wir durch ihn gelitten haben? Es handelt sich um eine Wiederherstellung: während der Rache-Act erster Art nur der Selbst-Erhaltung dient. Vielleicht verloren wir durch den Gegner Besitz, Rang, Freunde, Kinder, — diese Verluste werden durch die Rache nicht zurückgekauft, die Wiederherstellung bezieht sich allein auf einen Nebenverlust bei allen den erwähnten Verlusten. Die Rache der Wiederherstellung bewahrt nicht vor weiterem Schaden, sie macht den erlittenen Schaden nicht wieder gut, — ausser in Einem Falle. Wenn unsere Ehre durch den Gegner gelitten hat, so vermag die Rache sie wiederherzustellen. Sie hat aber in jedem Falle einen Schaden erlitten, wenn man uns absichtlich ein Leid zufügte: denn der Gegner bewies damit, dass er uns nicht fürchtete. Durch die Rache beweisen wir, dass wir auch ihn nicht fürchten: darin liegt die Ausgleichung, die Wiederherstellung. (Die Absicht, den völligen Mangel an Furcht zu zeigen, geht bei einigen Personen so weit, dass ihnen die Gefährlichkeit der Rache für sie selbst (Einbusse der Gesundheit oder des Lebens, oder sonstige Verluste) als eine unerlässliche Bedingung jeder Rache gilt. Desshalb gehen sie den Weg des Duells, obschon die Gerichte ihnen den Arm bieten, um auch so Genugthuung für die Beleidigung zu erhalten: sie nehmen aber die gefahrlose Wiederherstellung ihrer Ehre nicht als genügend an, weil sie ihren Mangel an Furcht nicht beweisen kann.) — Bei der ersterwähnten Art der Rache ist es gerade die Furcht, die den Gegenschlag ausführt: hier dagegen ist es die Abwesenheit der Furcht, welche, wie gesagt, durch den Gegenschlag sich beweisen will. — Nichts scheint also verschiedener, als die innere Motivirung der beiden Handlungsweisen, die mit Einem Wort „Rache“ benannt werden: und trotzdem kommt es sehr häufig vor, dass der Rache-Uebende in Unklarheit ist, was ihn eigentlich zur That bestimmt hat; vielleicht, dass er aus Furcht und um sich zu erhalten den Gegenschlag führte, hinterher aber, als er Zeit hatte, über den Gesichtspunct der verletzten Ehre nachzudenken, selber sich einredet, seiner Ehre halber sich gerächt zu haben: — dieses Motiv ist ja jedenfalls vornehmer, als das andere. Dabei ist noch wesentlich, ob er seine Ehre in den Augen der Anderen (der Welt) beschädigt sieht oder nur in den Augen des Beleidigers: im letztern Falle wird er die geheime Rache vorziehen, im erstern aber die öffentliche. Je nachdem er sich stark oder schwach in die Seele des Thäters und der Zuschauer hineindenkt, wird seine Rache erbitterter oder zahmer sein; fehlt ihm diese Art Phantasie ganz, so wird er gar nicht an Rache denken; denn das Gefühl der „Ehre“ ist dann bei ihm nicht vorhanden, also auch nicht zu verletzen. Ebenso wird er nicht an Rache denken, wenn er den Thäter und die Zuschauer der That verachtet: weil sie ihm keine Ehre geben können, als Verachtete, und demnach auch keine Ehre nehmen können. Endlich wird er auf Rache in dem nicht ungewöhnlichen Falle verzichten, dass er den Thäter liebt: freilich büsst er so in dessen Augen an Ehre ein und wird vielleicht der Gegenliebe dadurch weniger würdig. Aber auch auf alle Gegenliebe Verzicht leisten, ist ein Opfer, welches die Liebe zu bringen bereit ist, wenn sie dem geliebten Wesen nur nicht wehe thun muss: dies hiesse sich selber mehr wehe thun, als jenes Opfer wehe thut. — Also: Jedermann wird sich rächen, er sei denn ehrlos oder voll Verachtung oder voll Liebe gegen den Schädiger und Beleidiger. Auch wenn er sich an die Gerichte wendet, so will er die Rache als private Person: nebenbei aber noch, als weiterdenkender vorsorglicher Mensch der Gesellschaft, die Rache der Gesellschaft an Einem, der sie nicht ehrt. So wird durch die gerichtliche Strafe sowohl die Privatehre als auch die Gesellschaftsehre wiederhergestellt: das heisst — Strafe ist Rache. — Es giebt in ihr unzweifelhaft auch noch jenes andere, zuerst beschriebene Element der Rache, insofern durch sie die Gesellschaft ihrer Selbst-Erhaltung dient und der Nothwehr halber einen Gegenschlag führt. Die Strafe will das weitere Schädigen verhüten, sie will abschrecken. Auf diese Weise sind wirklich in der Strafe beide so verschiedene Elemente der Rache verknüpft, und diess mag vielleicht am meisten dahin wirken, jene erwähnte Begriffsverwirrung zu unterhalten, vermöge deren der Einzelne, der sich rächt, gewöhnlich nicht weiss, was er eigentlich will.