Facta Ficta

vitam impendere vero

Nietzsche thinking

[JGB-16]

Es giebt immer noch harmlose Selbst-Beobachter, welche...

Es giebt immer noch harmlose Selbst-Beobachter, welche glauben, dass es „unmittelbare Gewissheiten“ gebe, zum Beispiel „ich denke“, oder, wie es der Aberglaube Schopenhauer’s war, „ich will“: gleichsam als ob hier das Erkennen rein und nackt seinen Gegenstand zu fassen bekäme, als „Ding an sich“, und weder von Seiten des Subjekts, noch von Seiten des Objekts eine Fälschung stattfände. Dass aber „unmittelbare Gewissheit“, ebenso wie „absolute Erkenntniss“ und „Ding an sich“, eine contradictio in adjecto in sich schliesst, werde ich hundertmal wiederholen: man sollte sich doch endlich von der Verführung der Worte losmachen! Mag das Volk glauben, dass Erkennen ein zu Ende-Kennen sei, der Philosoph muss sich sagen: „wenn ich den Vorgang zerlege, der in dem Satz „ich denke“ ausgedrückt ist, so bekomme ich eine Reihe von verwegenen Behauptungen, deren Begründung schwer, vielleicht unmöglich ist, — zum Beispiel, dass ich es bin, der denkt, dass überhaupt ein Etwas es sein muss, das denkt, dass Denken eine Thätigkeit und Wirkung seitens eines Wesens ist, welches als Ursache gedacht wird, dass es ein „Ich“ giebt, endlich, dass es bereits fest steht, was mit Denken zu bezeichnen ist, — dass ich weiss, was Denken ist. Denn wenn ich nicht darüber mich schon bei mir entschieden hätte, wonach sollte ich abmessen, dass, was eben geschieht, nicht vielleicht „Wollen“ oder „Fühlen“ sei? Genug, jenes „ich denke“ setzt voraus, dass ich meinen augenblicklichen Zustand mit anderen Zuständen, die ich an mir kenne, vergleiche, um so festzusetzen, was er ist: wegen dieser Rückbeziehung auf anderweitiges „Wissen“ hat er für mich jedenfalls keine unmittelbare „Gewissheit“. — An Stelle jener „unmittelbaren Gewissheit“, an welche das Volk im gegebenen Falle glauben mag, bekommt dergestalt der Philosoph eine Reihe von Fragen der Metaphysik in die Hand, recht eigentliche Gewissensfragen des Intellekts, welche heissen: „Woher nehme ich den Begriff Denken? Warum glaube ich an Ursache und Wirkung? Was giebt mir das Recht, von einem Ich, und gar von einem Ich als Ursache, und endlich noch von einem Ich als Gedanken-Ursache zu reden?“ Wer sich mit der Berufung auf eine Art Intuition der Erkenntniss getraut, jene metaphysischen Fragen sofort zu beantworten, wie es Der thut, welcher sagt: „ich denke, und weiss, dass dies wenigstens wahr, wirklich, gewiss ist“ — der wird bei einem Philosophen heute ein Lächeln und zwei Fragezeichen bereit finden. „Mein Herr, wird der Philosoph vielleicht ihm zu verstehen geben, es ist unwahrscheinlich, dass Sie sich nicht irren: aber warum auch durchaus Wahrheit?“ —