[JGB-205]
Die Gefahren für die Entwicklung des Philosophen sind...
Die Gefahren für die Entwicklung des Philosophen sind heute in Wahrheit so vielfach, dass man zweifeln möchte, ob diese Frucht überhaupt noch reif werden kann. Der Umfang und der Thurmbau der Wissenschaften ist in’s Ungeheure gewachsen, und damit auch die Wahrscheinlichkeit, dass der Philosoph schon als Lernender müde wird oder sich irgendwo festhalten und „spezialisiren“ lässt: so dass er gar nicht mehr auf seine Höhe, nämlich zum Überblick, Umblick, Niederblick kommt. Oder er gelangt zu spät hinauf, dann, wenn seine beste Zeit und Kraft schon vorüber ist; oder beschädigt, vergröbert, entartet, so dass sein Blick, sein Gesammt-Werthurtheil wenig mehr bedeutet. Gerade die Feinheit seines intellektuellen Gewissens lässt ihn vielleicht unterwegs zögern und sich verzögern; er fürchtet die Verführung zum Dilettanten, zum Tausendfuss und Tausend-Fühlhorn, er weiss es zu gut, dass Einer, der vor sich selbst die Ehrfurcht verloren hat, auch als Erkennender nicht mehr befiehlt, nicht mehr führt: er müsste denn schon zum grossen Schauspieler werden wollen, zum philosophischen Cagliostro und Rattenfänger der Geister, kurz zum Verführer. Dies ist zuletzt eine Frage des Geschmacks: wenn es selbst nicht eine Frage des Gewissens wäre. Es kommt hinzu, um die Schwierigkeit des Philosophen noch einmal zu verdoppeln, dass er von sich ein Urtheil, ein Ja oder Nein, nicht über die Wissenschaften, sondern über das Leben und den Werth des Lebens verlangt, — dass er ungern daran glauben lernt, ein Recht oder gar eine Pflicht zu diesem Urtheile zu haben, und sich nur aus den umfänglichsten — vielleicht störendsten, zerstörendsten — Erlebnissen heraus und oft zögernd, zweifelnd, verstummend seinen Weg zu jenem Rechte und jenem Glauben suchen muss. In der That, die Menge hat den Philosophen lange Zeit verwechselt und verkannt, sei es mit dem wissenschaftlichen Menschen und idealen Gelehrten, sei es mit dem religiös-gehobenen entsinnlichten „entweltlichten“ Schwärmer und Trunkenbold Gottes; und hört man gar heute Jemanden loben, dafür, dass er „weise“ lebe oder „als ein Philosoph“, so bedeutet es beinahe nicht mehr, als „klug und abseits“. Weisheit: das scheint dem Pöbel eine Art Flucht zu sein, ein Mittel und Kunststück, sich gut aus einem schlimmen Spiele herauszuziehn; aber der rechte Philosoph — so scheint es uns, meine Freunde? — lebt „unphilosophisch“ und „unweise“, vor Allem unklug, und fühlt die Last und Pflicht zu hundert Versuchen und Versuchungen des Lebens: — er risquirt sich beständig, er spielt das schlimme Spiel.....