Facta Ficta

vitam impendere vero

Nietzsche thinking

[JGB-274]

Das Problem der Wartenden

Es sind Glücksfälle dazu nöthig und vielerlei Unberechenbares, dass ein höherer Mensch, in dem die Lösung eines Problems schläft, noch zur rechten Zeit zum Handeln kommt — „zum Ausbruch“, wie man sagen könnte. Es geschieht durchschnittlich nicht, und in allen Winkeln der Erde sitzen Wartende, die es kaum wissen, in wiefern sie warten, noch weniger aber, dass sie umsonst warten. Mitunter auch kommt der Weckruf zu spät, jener Zufall, der die „Erlaubniss“ zum Handeln giebt, — dann, wenn bereits die beste Jugend und Kraft zum Handeln durch Stillsitzen verbraucht ist; und wie Mancher fand, eben als er „aufsprang“, mit Schrecken seine Glieder eingeschlafen und seinen Geist schon zu schwer! „Es ist zu spät“ — sagte er sich, ungläubig über sich geworden und nunmehr für immer unnütz. — Sollte, im Reiche des Genie’s, der „Raffael ohne Hände“, das Wort im weitesten Sinn verstanden, vielleicht nicht die Ausnahme, sondern die Regel sein? — Das Genie ist vielleicht gar nicht so selten: aber die fünfhundert Hände, die es nöthig hat, um den καιρὁς, „die rechte Zeit“ — zu tyrannisiren, um den Zufall am Schopf zu fassen!