Facta Ficta

vitam impendere vero

Nietzsche thinking

[JGB-39]

Niemand wird so leicht eine Lehre, bloss weil sie...

Niemand wird so leicht eine Lehre, bloss weil sie glücklich macht, oder tugendhaft macht, deshalb für wahr halten: die lieblichen „Idealisten“ etwa ausgenommen, welche für das Gute, Wahre, Schöne schwärmen und in ihrem Teiche alle Arten von bunten plumpen und gutmüthigen Wünschbarkeiten durcheinander schwimmen lassen. Glück und Tugend sind keine Argumente. Man vergisst aber gerne, auch auf Seiten besonnener Geister, dass Unglücklich-machen und Böse-machen ebensowenig Gegenargumente sind. Etwas dürfte wahr sein: ob es gleich im höchsten Grade schädlich und gefährlich wäre; ja es könnte selbst zur Grundbeschaffenheit des Daseins gehören, dass man an seiner völligen Erkenntniss zu Grunde gienge, — so dass sich die Stärke eines Geistes darnach bemässe, wie viel er von der „Wahrheit“ gerade noch aushielte, deutlicher, bis zu welchem Grade er sie verdünnt, verhüllt, versüsst, verdumpft, verfälscht nöthig hätte. Aber keinem Zweifel unterliegt es, dass für die Entdeckung gewisser Theile der Wahrheit die Bösen und Unglücklichen begünstigter sind und eine grössere Wahrscheinlichkeit des Gelingens haben; nicht zu reden von den Bösen, die glücklich sind, — eine Species, welche von den Moralisten verschwiegen wird. Vielleicht, dass Härte und List günstigere Bedingungen zur Entstehung des starken, unabhängigen Geistes und Philosophen abgeben, als jene sanfte feine nachgebende Gutartigkeit und Kunst des Leicht-nehmens, welche man an einem Gelehrten schätzt und mit Recht schätzt. Vorausgesetzt, was voran steht, dass man den Begriff „Philosoph“ nicht auf den Philosophen einengt, der Bücher schreibt — oder gar seine Philosophie in Bücher bringt! — Einen letzten Zug zum Bilde des freigeisterischen Philosophen bringt Stendhal bei, den ich um des deutschen Geschmacks willen nicht unterlassen will zu unterstreichen: — denn er geht wider den deutschen Geschmack. „Pour être bon philosophe“, sagt dieser letzte grosse Psycholog, „il faut être sec, clair, sans illusion. Un banquier, qui a fait fortune, a une partie du caractère requis pour faire des découvertes en philosophie, c’est-à-dire pour voir clair dans ce qui est.“