[MA-203]
Eine verschwundene Vorbereitung zur Kunst
An Allem, was das Gymnasium trieb, war das Werthvollste die Uebung im lateinischen Stil: diese war eben eine Kunstübung, während alle anderen Beschäftigungen nur das Wissen zum Zweck hatten. Den deutschen Aufsatz voranzustellen, ist Barbarei, denn wir haben keinen mustergültigen, an öffentlicher Beredtsamkeit emporgewachsenen deutschen Stil; will man aber durch den deutschen Aufsatz die Uebung im Denken fördern, so ist es gewiss besser, wenn man einstweilen von Stil dabei überhaupt absieht, also zwischen der Uebung im Denken und der im Darstellen scheidet. Letztere sollte sich auf mannichfache Fassung eines gegebenen Inhaltes beziehen und nicht auf selbständiges Erfinden eines Inhaltes. Die blose Darstellung bei gegebenem Inhalte war die Aufgabe des lateinischen Stils, für welchen die alten Lehrer eine längst verloren gegangene Feinheit des Gehörs besassen. Wer ehemals gut in einer modernen Sprache schreiben lernte, verdankte es dieser Uebung (jetzt muss man sich nothgedrungen zu den älteren Franzosen in die Schule schicken); aber noch mehr: er bekam einen Begriff von der Hoheit und Schwierigkeit der Form und wurde für die Kunst überhaupt auf dem einzig richtigen Wege vorbereitet, durch Praxis.