[MA-238]
Gerechtigkeit gegen den werdenden Gott
Wenn sich die ganze Geschichte der Cultur vor den Blicken aufthut als ein Gewirr von bösen und edlen, wahren und falschen Vorstellungen und es Einem beim Anblick dieses Wellenschlags fast seekrank zu Muthe wird, so begreift man, was für ein Trost in der Vorstellung eines werdenden Gottes liegt: dieser enthüllt sich immer mehr in den Verwandelungen und Schicksalen der Menschheit, es ist nicht Alles blinde Mechanik, sinn- und zweckloses Durcheinanderspielen von Kräften. Die Vergottung des Werdens ist ein metaphysischer Ausblick - gleichsam von einem Leuchtthurm am Meere der Geschichte herab -, an welchem eine allzuviel historisirende Gelehrtengeneration ihren Trost fand; darüber darf man nicht böse werden, so irrthümlich jene Vorstellung auch sein mag. Nur wer, wie Schopenhauer, die Entwickelung leugnet, fühlt auch Nichts von dem Elend dieses historischen Wellenschlags und darf desshalb, weil er von jenem werdenden Gotte und dem Bedürfniss seiner Annahme Nichts weiss, Nichts fühlt, billigerweise seinen Spott auslassen.