Facta Ficta

vitam impendere vero

Nietzsche thinking

[MA-611]

Langeweile und Spiel

Das Bedürfniss zwingt uns zur Arbeit, mit deren Ertrage das Bedürfniss gestillt wird; das immer neue Erwachen der Bedürfnisse gewöhnt uns an die Arbeit. In den Pausen aber, in welchen die Bedürfnisse gestillt sind und gleichsam schlafen, überfällt uns die Langeweile. Was ist diese? Es ist die Gewöhnung an Arbeit überhaupt, welche sich jetzt als neues, hinzukommendes Bedürfniss geltend macht; sie wird um so stärker sein, je stärker Jemand gewöhnt ist zu arbeiten, vielleicht sogar je stärker Jemand an Bedürfnissen gelitten hat. Um der Langeweile zu entgehen, arbeitet der Mensch entweder über das Maass seiner sonstigen Bedürfnisse hinaus oder er erfindet das Spiel, das heisst die Arbeit, welche kein anderes Bedürfniss stillen soll, als das nach Arbeit überhaupt. Wer des Spieles überdrüssig geworden ist und durch neue Bedürfnisse keinen Grund zur Arbeit hat, den überfällt mitunter das Verlangen nach einem dritten Zustand, welcher sich zum Spiel verhält, wie Schweben zum Tanzen, wie Tanzen zum Gehen, nach einer seligen, ruhigen Bewegtheit: es ist die Vision der Künstler und Philosophen von dem Glück.