Facta Ficta

vitam impendere vero

Nietzsche thinking

[MA-68]

Moralität und Erfolg

Nicht nur die Zuschauer einer That bemessen häufig das Moralische oder Unmoralische an derselben nach dem Erfolge: nein, der Thäter selbst thut diess. Denn die Motive und Absichten sind selten deutlich und einfach genug, und mitunter scheint selbst das Gedächtniss durch den Erfolg der That getrübt, so dass man seiner That selber falsche Motive unterschiebt oder die unwesentlichen Motive als wesentliche behandelt. Der Erfolg giebt oft einer That den vollen ehrlichen Glanz des guten Gewissens, ein Misserfolg legt den Schatten von Gewissensbissen über die achtungswürdigste Handlung. Daraus ergiebt sich die bekannte Praxis des Politikers, welcher denkt: "gebt mir nur den Erfolg: mit ihm habe ich auch alle ehrlichen Seelen auf meine Seite gebracht - und mich vor mir selber ehrlich gemacht." - Auf ähnliche Weise soll der Erfolg die bessere Begründung ersetzen. Noch jetzt meinen viele Gebildete, der Sieg des Christenthums über die griechische Philosophie sei ein Beweis für die grössere Wahrheit des ersteren, - obwohl in diesem Falle nur das Gröbere und Gewaltsamere über das Geistigere und Zarte gesiegt hat. Wie es mit der grösseren Wahrheit steht, ist daraus zu ersehen, dass die erwachenden Wissenschaften Punct um Punct an Epikur's Philosophie angeknüpft, das Christenthum aber Punct um Punct zurückgewiesen haben.