Facta Ficta

vitam impendere vero

Nietzsche thinking

[MA-VM-177]

Was alle Kunst will und nicht kann

Die schwerste und letzte Aufgabe des Künstlers ist die Darstellung des Gleichbleibenden, in sich Ruhenden, Hohen, Einfachen, vom Einzelreiz weit Absehenden; desshalb werden die höchsten Gestaltungen sittlicher Vollkommenheit von den schwächeren Künstlern selbst als unkünstlerische Vorwürfe abgelehnt und in Verruf gebracht, weil ihrem Ehrgeize der Anblick dieser Früchte gar zu peinlich ist: sie glänzen ihnen aus den äussersten Aesten der Kunst entgegen, aber es fehlt ihnen Leiter, Muth und Handgriff, um sich so hoch wagen zu dürfen. An sich ist ein Phidias als Dichter recht wohl möglich, aber, in Anbetracht der modernen Kraft, fast nur im Sinne des Wortes, dass bei Gott kein Ding unmöglich ist. Schon der Wunsch nach einem dichterischen Claude Lorrain ist ja gegenwärtig eine Unbescheidenheit, so sehr Einen das Herz darnach verlangen heisst. — Der Darstellung des letzten Menschen, das heisst des einfachsten und zugleich vollsten, war bis jetzt kein Künstler gewachsen; vielleicht aber haben die Griechen, im Ideal der Athene, am weitesten von allen bisherigen Menschen den Blick geworfen.