Facta Ficta

vitam impendere vero

Nietzsche thinking

[MA-WS-12]

Die Grundirrthümer

Damit der Mensch irgend eine seelische Lust oder Unlust empfinde, muss er von einer dieser beiden Illusionen beherrscht sein: entweder glaubt er an die Gleichheit gewisser Facta, gewisser Empfindungen: dann hat er durch die Vergleichung jetziger Zustände mit früheren und durch Gleich- oder Ungleichsetzung derselben (wie sie bei aller Erinnerung Statt findet) eine seelische Lust oder Unlust; oder er glaubt an die Willens-Freiheit, etwa wenn er denkt „diess hätte ich nicht thun müssen,“ „dies hätte anders auslaufen können,“ und gewinnt daraus ebenfalls Lust oder Unlust. Ohne die Irrthümer, welche bei jeder seelischen Lust und Unlust thätig sind, würde niemals ein Menschenthum entstanden sein, — dessen Grundempfindung ist und bleibt, dass der Mensch der Freie in der Welt der Unfreiheit sei, der ewige Wunderthäter, sei es dass er gut oder böse handelt, die erstaunliche Ausnahme, das Ueberthier, der Fast-Gott, der Sinn der Schöpfung, der Nichthinwegzudenkende, das Lösungswort des kosmischen Räthsels, der grosse Herrscher über die Natur und Verächter derselben, das Wesen, das seine Geschichte Weltgeschichte nennt! — Vanitas vanitatum homo.