Facta Ficta

vitam impendere vero

Nietzsche thinking

[MA-WS-183]

Zürnen und strafen hat seine Zeit

Zürnen und strafen ist unser Angebinde von der Thierheit her. Der Mensch wird erst mündig, wenn er diess Wiegengeschenk den Thieren zurückgiebt. — Hier liegt einer der grössten Gedanken vergraben, welche Menschen haben können, der Gedanke an einen Fortschritt aller Fortschritte. — Gehen wir einige Jahrtausende mit einander vorwärts, meine Freunde! Es ist sehr viel Freude noch den Menschen vorbehalten, wovon den gegenwärtigen noch kein Geruch zugeweht ist! Und zwar dürfen wir uns diese Freude versprechen, ja als etwas Nothwendiges verheissen und beschwören, im Fall nur die Entwickelung der menschlichen Vernunft nicht stille steht! Einstmals wird man die logische Sünde, welche im Zürnen und Strafen, einzeln oder gesellschaftsweise geübt, verborgen liegt, nicht mehr über’s Herz bringen: einstmals, wenn Herz und Kopf so nahe bei einander zu wohnen gelernt haben, wie sie jetzt noch einander ferne stehen. Dass sie nicht mehr so ferne stehen, wie ursprünglich, ist beim Blick auf den ganzen Gang der Menschheit ziemlich ersichtlich; und der Einzelne, der ein Leben innerer Arbeit zu überschauen hat, wird mit stolzer Freude sich der überwundenen Entfernung, der erreichten Annäherung bewusst werden, um daraufhin noch grössere Hoffnungen wagen zu dürfen.