Facta Ficta

vitam impendere vero

Nietzsche thinking

[MA-WS-222]

Die Leidenschaft im Mittelalter

Das Mittelalter ist die Zeit der grössten Leidenschaften. Weder das Alterthum noch unsere Zeit hat diese Ausweitung der Seele: ihre Räumlichkeit war nie grösser und nie ist mit längeren Maassstäben gemessen worden. Die physische Urwald-Leiblichkeit von Barbarenvölkern und die überseelenhaften, überwachen, allzuglänzenden Augen von christlichen Mysterien-Jüngern, das Kindlichste, Jüngste und ebenso das Ueberreifste, Altersmüdeste, die Rohheit des Raubthiers und die Verzärtelung und Ausspitzung des spätantiken Geistes, — Alles diess kam damals an Einer Person nicht selten zusammen: da musste, wenn Einer in Leidenschaft gerieth, die Stromschnelle des Gemüthes gewaltiger, der Strudel verwirrter, der Sturz tiefer sein, als je. — Wir neueren Menschen dürfen mit der Einbusse zufrieden sein, welche hier gemacht worden ist.