Facta Ficta

vitam impendere vero

Nietzsche thinking

[JGB-190]

Es giebt Etwas in der Moral Plato’s, das nicht eigentlich...

Es giebt Etwas in der Moral Plato’s, das nicht eigentlich zu Plato gehört, sondern sich nur an seiner Philosophie vorfindet, man könnte sagen, trotz Plato: nämlich der Sokratismus, für den er eigentlich zu vornehm war. „Keiner will sich selbst Schaden thun, daher geschieht alles Schlechte unfreiwillig. Denn der Schlechte fügt sich selbst Schaden zu: das würde er nicht thun, falls er wüsste, dass das Schlechte schlecht ist. Demgemäss ist der Schlechte nur aus einem Irrthum schlecht; nimmt man ihm seinen Irrthum, so macht man ihn notwendig — gut.“ — Diese Art zu schliessen riecht nach dem Pöbel, der am Schlechthandeln nur die leidigen Folgen in’s Auge fasst und eigentlich urtheilt „es ist dumm, schlecht zu handeln“; während er „gut“ mit „nützlich und angenehm“ ohne Weiteres als identisch nimmt. Man darf bei jedem Utilitarismus der Moral von vornherein auf diesen gleichen Ursprung rathen und seiner Nase folgen: man wird selten irre gehn. — Plato hat Alles gethan, um etwas Feines und Vornehmes in den Satz seines Lehrers hinein zu interpretiren, vor Allem sich selbst —, er, der verwegenste aller Interpreten, der den ganzen Sokrates nur wie ein populäres Thema und Volkslied von der Gasse nahm, um es in’s Unendliche und Unmögliche zu variiren: nämlich in alle seine eignen Masken und Vielfältigkeiten. Im Scherz gesprochen, und noch dazu homerisch: was ist denn der platonische Sokrates, wenn nicht πρόσϑε Πλάτων ὄπιϑέν τε Πλάτων μέσση τε Χίμαιρα.