[JGB-210]
Gesetzt also, dass im Bilde der Philosophen der Zukunft...
Gesetzt also, dass im Bilde der Philosophen der Zukunft irgend ein Zug zu rathen giebt, ob sie nicht vielleicht, in dem zuletzt angedeuteten Sinne, Skeptiker sein müssen, so wäre damit doch nur ein Etwas an ihnen bezeichnet — und nicht sie selbst. Mit dem gleichen Rechte dürften sie sich Kritiker nennen lassen; und sicherlich werden es Menschen der Experimente sein. Durch den Namen, auf welchen ich sie zu taufen wagte, habe ich das Versuchen und die Lust am Versuchen schon ausdrücklich unterstrichen: geschah dies deshalb, weil sie, als Kritiker an Leib und Seele, sich des Experiments in einem neuen, vielleicht weiteren, vielleicht gefährlicheren Sinne zu bedienen lieben? Müssen sie, in ihrer Leidenschaft der Erkenntniss, mit verwegenen und schmerzhaften Versuchen weiter gehn, als es der weichmüthige und verzärtelte Geschmack eines demokratischen Jahrhunderts gut heissen kann? — Es ist kein Zweifel: diese Kommenden werden am wenigsten jener ernsten und nicht unbedenklichen Eigenschaften entrathen dürfen, welche den Kritiker vom Skeptiker abheben, ich meine die Sicherheit der Werthmaasse, die bewusste Handhabung einer Einheit von Methode, den gewitzten Muth, das Alleinstehn und Sich-verantworten-können; ja, sie gestehen bei sich eine Lust am Neinsagen und Zergliedern und eine gewisse besonnene Grausamkeit zu, welche das Messer sicher und fein zu führen weiss, auch noch, wenn das Herz blutet. Sie werden härter sein (und vielleicht nicht immer nur gegen sich), als humane Menschen wünschen mögen, sie werden sich nicht mit der „Wahrheit“ einlassen, damit sie ihnen „gefalle“ oder sie „erhebe“ und „begeistere“: — ihr Glaube wird vielmehr gering sein, dass gerade die Wahrheit solche Lustbarkeiten für das Gefühl mit sich bringe. Sie werden lächeln, diese strengen Geister, wenn Einer vor ihnen sagte „jener Gedanke erhebt mich: wie sollte er nicht wahr sein?“ Oder: „jenes Werk entzückt mich: wie sollte es nicht schön sein?“ Oder: „jener Künstler vergrössert mich: wie sollte er nicht gross sein?“ — sie haben vielleicht nicht nur ein Lächeln, sondern einen ächten Ekel vor allem derartig Schwärmerischen, Idealistischen, Femininischen, Hermaphroditischen bereit, und wer ihnen bis in ihre geheimen Herzenskammern zu folgen wüsste, würde schwerlich dort die Absicht vorfinden, „christliche Gefühle“ mit dem „antiken Geschmacke“ und etwa gar noch mit dem „modernen Parlamentarismus“ zu versöhnen (wie dergleichen Versöhnlichkeit in unserm sehr unsicheren, folglich sehr versöhnlichen Jahrhundert sogar bei Philosophen vorkommen soll). Kritische Zucht und jede Gewöhnung, welche zur Reinlichkeit und Strenge in Dingen des Geistes führt, werden diese Philosophen der Zukunft nicht nur von sich verlangen: sie dürften sie wie ihre Art Schmuck selbst zur Schau tragen, — trotzdem wollen sie deshalb noch nicht Kritiker heissen. Es scheint ihnen keine kleine Schmach, die der Philosophie angethan wird, wenn man dekretirt, wie es heute so gern geschieht: „Philosophie selbst ist Kritik und kritische Wissenschaft — und gar nichts ausserdem!“ Mag diese Werthschätzung der Philosophie sich des Beifalls aller Positivisten Frankreichs und Deutschlands erfreuen (— und es wäre möglich, dass sie sogar dem Herzen und Geschmacke Kant’s geschmeichelt hätte: man erinnere sich der Titel seiner Hauptwerke —): unsre neuen Philosophen werden trotzdem sagen: Kritiker sind Werkzeuge des Philosophen und eben darum, als Werkzeuge, noch lange nicht selbst Philosophen! Auch der grosse Chinese von Königsberg war nur ein grosser Kritiker. —