Facta Ficta

vitam impendere vero

Nietzsche thinking

[JGB-22]

Man vergebe es mir als einem alten Philologen, der von der...

Man vergebe es mir als einem alten Philologen, der von der Bosheit nicht lassen kann, auf schlechte Interpretations-Künste den Finger zu legen: aber jene „Gesetzmässigkeit der Natur“, von der ihr Physiker so stolz redet, wie als ob — — besteht nur Dank eurer Ausdeutung und schlechten „Philologie“, — sie ist kein Thatbestand, kein „Text“, vielmehr nur eine naiv-humanitäre Zurechtmachung und Sinnverdrehung, mit der ihr den demokratischen Instinkten der modernen Seele sattsam entgegenkommt! „Überall Gleichheit vor dem Gesetz, — die Natur hat es darin nicht anders und nicht besser als wir“: ein artiger Hintergedanke, in dem noch einmal die pöbelmännische Feindschaft gegen alles Bevorrechtete und Selbstherrliche, insgleichen ein zweiter und feinerer Atheismus verkleidet liegt. „Ni dieu, ni maître“ — so wollt auch ihr’s: und darum „hoch das Naturgesetz“! — nicht wahr? Aber, wie gesagt, das ist Interpretation, nicht Text; und es könnte Jemand kommen, der, mit der entgegengesetzten Absicht und Interpretationskunst, aus der gleichen Natur und im Hinblick auf die gleichen Erscheinungen, gerade die tyrannisch-rücksichtenlose und unerbittliche Durchsetzung von Machtansprüchen herauszulesen verstünde, — ein Interpret, der die Ausnahmslosigkeit und Unbedingtheit in allem „Willen zur Macht“ dermaassen euch vor Augen stellte, dass fast jedes Wort und selbst das Wort „Tyrannei“ schliesslich unbrauchbar oder schon als schwächende und mildernde Metapher — als zu menschlich — erschiene; und der dennoch damit endete, das Gleiche von dieser Welt zu behaupten, was ihr behauptet, nämlich dass sie einen „nothwendigen“ und „berechenbaren“ Verlauf habe, aber nicht, weil Gesetze in ihr herrschen, sondern weil absolut die Gesetze fehlen, und jede Macht in jedem Augenblicke ihre letzte Consequenz zieht. Gesetzt, dass auch dies nur Interpretation ist — und ihr werdet eifrig genug sein, dies einzuwenden? — nun, um so besser. —