Facta Ficta

vitam impendere vero

Nietzsche thinking

[MA-450]

Neuer und alter Begriff der Regierung

Zwischen Regierung und Volk so zu scheiden, als ob hier zwei getrennte Machtsphären, eine stärkere, höhere mit einer schwächeren, niederen, verhandelten und sich vereinbarten, ist ein Stück vererbter politischer Empfindung, welches der historischen Feststellung der Machtverhältnisse in den in eisten Staaten noch jetzt genau entspricht. Wenn zum Beispiel Bismarck die constitutionelle Form als einen Compromiss zwischen Regierung und Volk bezeichnet, so redet er gemäss einem Princip, welches seine Vernunft- in der Geschichte hat (ebendaher freilich auch den Beisatz von Unvernunft, ohne den nichts Menschliches existiren kann). Dagegen soll man nun lernen - gemäss einem Princip, welches rein aus dem Kopfe entsprungen ist und erst Geschichte machen soll -, dass Regierung Nichts als ein Organ des Volkes sei, nicht ein vorsorgliches, verehrungswürdiges "Oben" im Verhältniss zu einem an Bescheidenheit gewöhnten "Unten". Bevor man diese bis jetzt unhistorische und willkürliche, wenn auch logischere Aufstellung des Begriffs Regierung annimmt, möge man doch ja die Folgen erwägen: denn das Verhältniss zwischen Volk und Regierung ist das stärkste vorbildliche Verhältniss, nach dessen Muster sich unwillkürlich der Verkehr zwischen Lehrer und Schüler, Hausherrn und Dienerschaft, Vater und Familie, Heerführer und Soldat, Meister und Lehrling bildet. Alle diese Verhältnisse gestalten sich jetzt, unter dem Einflusse der herrschenden constitutionellen Regierungsform, ein Wenig um - sie werden Compromisse. Aber wie müssen sie sich verkehren und verschieben, Namen und Wesen wechseln, wenn jener allerneueste Begriff überall sich der Köpfe bemeistert hat! - wozu es aber wohl ein Jahrhundert noch brauchen dürfte. Hierbei ist Nichts mehr zu wünschen, als Vorsicht und langsame Entwickelung.