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Das Einfache nicht das Erste, noch das Letzte der Zeit...
Das Einfache nicht das Erste, noch das Letzte der Zeit nach. — In die Geschichte der religiösen Vorstellungen wird viel falsche Entwickelung und Allmählichkeit hineingedichtet, bei Dingen, die in Wahrheit nicht aus- und hintereinander, sondern nebeneinander und getrennt aufgewachsen sind; namentlich ist das Einfache viel zu sehr noch im Rufe, das Aelteste und Anfänglichste zu sein. Nicht wenig Menschliches entsteht durch Subtraction und Division und gerade nicht durch Verdoppelung, Zusatz, Zusammenbildung. — Man glaubt zum Beispiel immer noch an eine allmähliche Entwickelung der Götterdarstellung von jenen ungefügen Holzklötzen und Steinen aus bis zur vollen Vermenschlichung hinauf: und doch steht es gerade so, dass, so lange die Gottheit in Bäume, Holzstücke, Steine, Thiere hineinverlegt und -empfunden wurde, man sich vor einer Anmenschlichung ihrer Gestalt wie vor einer Gottlosigkeit scheute. Erst die Dichter haben, abseits vom Cultus und dem Banne der religiösen Scham, die innere Phantasie der Menschen daran gewöhnen, dafür willig machen müssen: überwogen aber wieder frömmere Stimmungen und Augenblicke, so trat dieser befreiende Einfluss der Dichter wieder zurück und die Heiligkeit verblieb nach wie vor auf Seite des Ungethümlichen, Unheimlichen, ganz eigentlich Unmenschlichen. Selbst aber Vieles von dem, was die innere Phantasie sich zu bilden wagt, würde doch noch, in äussere, leibhafte Darstellung übersetzt, peinlich wirken: das innere Auge ist um Vieles kühner und weniger schamhaft als das äussere (woraus sich die bekannte Schwierigkeit und theilweise Unmöglichkeit ergiebt, epische Stoffe in dramatische umzuwandeln). Die religiöse Phantasie will lange Zeit durchaus nicht an die Identität des Gottes mit einem Bilde glauben: das Bild soll das Numen der Gottheit in irgend einer geheimnissvollen, nicht völlig auszudenkenden Weise hier als thätig, als örtlich gebannt erscheinen lassen. Das älteste Götterbild soll den Gott bergen und zugleich verbergen, — ihn andeuten, aber nicht zur Schau stellen. Kein Grieche hat je innerlich seinen Apollo als Holz-Spitzsäule, seinen Eros als Steinklumpen angeschaut; es waren Symbole, welche gerade Angst vor der Veranschaulichung machen sollten. Ebenso steht es noch mit jenen Hölzern, denen mit dürftigster Schnitzerei einzelne Glieder, mitunter in der Ueberzahl, angebildet waren: wie ein lakonischer Apollo vier Hände und vier Ohren hatte. In dem Unvollständigen, Andeutenden oder Uebervollständigen liegt eine grausenhafte Heiligkeit, welche abwehren soll, an Menschliches, Menschenartiges zu denken. Es ist nicht eine embryonische Stufe der Kunst, in der man so Etwas bildet: als ob man in der Zeit, wo man solche Bilder verehrte, nicht hätte deutlicher reden, sinnfälliger darstellen können. Vielmehr scheut man gerade Eines: das directe Heraussagen. Wie die Cella das Allerheiligste, das eigentliche Numen der Gottheit birgt und in geheimnissvolles Halbdunkel versteckt, doch nicht ganz; wie wiederum der peripterische Tempel die Cella birgt, gleichsam mit einem Schirm und Schleier vor dem ungescheuten Auge schützt, aber nicht ganz: so ist das Bild die Gottheit und zugleich Versteck der Gottheit. — Erst als ausserhalb des Cultus’, in der profanen Welt des Wettkampfes, die Freude an dem Sieger im Kampfe so hoch gestiegen war, dass die hier erregten Wellen in den See der religiösen Empfindung hinüberschlugen, erst als das Standbild des Siegers in den Tempelhöfen aufgestellt wurde und der fromme Besucher des Tempels freiwillig oder unfreiwillig sein Auge wie seine Seele an diesen unumgänglichen Anblick menschlicher Schönheit und Ueberkraft gewöhnen musste, so dass, bei der räumlichen und seelischen Nachbarschaft, Mensch- und Gottverehrung in einander überklangen: da erst verliert sich auch die Scheu vor der eigentlichen Vermenschlichung des Götterbildes, und der grosse Tummelplatz für die grosse Plastik wird aufgethan: auch jetzt noch mit der Beschränkung, dass überall wo angebetet werden soll, die uralte Form und Hässlichkeit bewahrt und vorsichtig nachgebildet wird. Aber der weihende und schenkende Hellene darf seiner Lust, Gott Mensch werden zu lassen, jetzt in aller Seligkeit nachhängen.