Facta Ficta

vitam impendere vero

Nietzsche thinking

[MA-VM-225]

Glaube macht selig und verdammt

Ein Christ, der auf unerlaubte Gedankengänge geräth, könnte sich wohl einmal fragen: ist es eigentlich nöthig, dass es einen Gott, nebst einem stellvertretenden Sündenlamme, wirklich giebt, wenn schon der Glaube an das Dasein dieser Wesen ausreicht, um die gleichen Wirkungen hervorzubringen? Sind es nicht überflüssige Wesen, falls sie doch existiren sollten? Denn alles Wohlthuende, Tröstliche, Versittlichende, ebenso wie alles Verdüsternde und Zermalmende, welches die christliche Religion der menschlichen Seele giebt, geht von jenem Glauben aus und nicht von den Gegenständen jenes Glaubens. Es steht hier nicht anders als bei dem bekannten Falle: zwar hat es keine Hexen gegeben, aber die furchtbaren Wirkungen des Hexenglaubens sind die selben gewesen, wie wenn es wirklich Hexen gegeben hätte. Für alle jene Gelegenheiten, wo der Christ das unmittelbare Eingreifen eines Gottes erwartet, aber umsonst erwartet — weil es keinen Gott giebt — ist seine Religion erfinderisch genug in Ausflüchten und Gründen zur Beruhigung: hierin ist es sicherlich eine geistreiche Religion. — Zwar hat der Glaube bisher noch keine wirklichen Berge versetzen können, obschon diess ich weiss nicht wer behauptet hat; aber er vermag Berge dorthin zu setzen, wo keine sind.