[MA-VM-226]
Tragikomödie von Regensburg
Hier und da kann man mit einer erschreckenden Deutlichkeit das Possenspiel der Fortuna sehen, wie sie an wenig Tage, an Einen Ort, an die Zustände und Stimmungen Eines Kopfes das Seil der nächsten Jahrhunderte anknüpft, an dem sie diese tanzen lassen will. So liegt das Verhängniss der neueren deutschen Geschichte in den Tagen jener Disputation von Regensburg: der friedliche Ausgang der kirchlichen und sittlichen Dinge, ohne Religionskriege, Gegenreformation, schien gewährleistet, ebenso die Einheit der deutschen Nation; der tiefe, milde Sinn des Contarini schwebte einen Augenblick über dem theologischen Gezänk, siegreich, als Vertreter der reiferen italiänischen Frömmigkeit, welche die Morgenröthe der geistigen Freiheit auf ihren Schwingen wiederstrahlte. Aber der knöcherne Kopf Luther’s, voller Verdächtigungen und unheimlicher Aengste, sträubte sich: weil die Rechtfertigung durch die Gnade ihm als sein grösster Fund- und Wahlspruch erschien, glaubte er diesem Satze nicht im Munde von Italiänern: während diese ihn, wie es bekannt ist, schon viel früher gefunden und durch ganz Italien in tiefer Stille verbreitet hatten. Luther sah in dieser scheinbaren Uebereinstimmung die Tücken des Teufels, und verhinderte das Friedenswerk so gut er konnte: wodurch er die Absichten der Feinde des Reiches ein gutes Stück vorwärts brachte. — Und nun nehme man, um den Eindruck des schauerlich Possenhaften noch mehr zu haben, hinzu, dass keiner der Sätze, über welche man sich damals in Regensburg stritt, weder der von der Erbsünde, noch der von der Erlösung durch Stellvertretung, noch der von der Rechtfertigung im Glauben, irgendwie wahr ist, oder auch nur mit der Wahrheit zu thun hat, dass sie alle jetzt als undiscutirbar erkannt sind: — und doch wurde darüber die Welt in Flammen gesetzt, also über Meinungen, denen gar keine Dinge und Realitäten entsprechen; während in Betreff von rein philologischen Fragen, zum Beispiel nach der Erklärung der Einsetzungs-Worte des Abendmahls, doch wenigstens ein Streit erlaubt ist, weil hier die Wahrheit gesagt werden kann. Aber wo Nichts ist, da hat auch die Wahrheit ihr Recht verloren. — Zuletzt bleibt Nichts übrig zu sagen, als dass damals allerdings Kraftquellen entsprungen sind, so mächtig, dass ohne sie alle Mühlen der modernen Welt nicht mit gleicher Stärke getrieben würden. Und erst kommt es auf Kraft an, dann erst auf Wahrheit, oder auch dann noch lange nicht, — nicht wahr, meine lieben Zeitgemässen?