Facta Ficta

vitam impendere vero

Nietzsche thinking

[MA-VM-324]

Ausländereien

Ein Ausländer, der in Deutschland reiste, missfiel und gefiel durch einige Behauptungen, je nach den Gegenden, in denen er sich aufhielt. Alle Schwaben, die Geist haben — pflegte er zu sagen — sind kokett. — Die anderen Schwaben aber meinten noch immer, Uhland sei ein Dichter und Goethe unmoralisch gewesen. — Das Beste an den deutschen Romanen, welche jetzt berühmt würden, sei, dass man sie nicht zu lesen brauche: man kenne sie schon. — Der Berliner erscheine gutmüthiger als der Süddeutsche, denn er sei allzu sehr spottlustig und vertrage desshalb Spott: was Süddeutschen nicht begegne. — Der Geist der Deutschen werde durch ihr Bier und ihre Zeitungen niedergehalten: er empfehle ihnen Thee und Pamphlete, zur Cur natürlich. — Man sehe sich, so rieth er, doch die verschiedenen Völker des altgewordenen Europa daraufhin an, wie ein jedes eine bestimmte Eigenschaft des Alters besonders gut zur Schau trägt, zum Vergnügen für Die, welche vor dieser grossen Bühne sitzen: wie die Franzosen das Kluge und Liebenswürdige des Alters, die Engländer das Erfahrene und Zurückhaltende, die Italiäner das Unschuldige und Unbefangene mit Glück vertreten. Sollten denn die anderen Masken des Alters fehlen? Wo ist der hochmüthige Alte? Wo der herrschsüchtige Alte? Wo der habsüchtige Alte? — Die gefährlichste Gegend in Deutschland sei Sachsen und Thüringen: nirgends gäbe es mehr geistige Rührigkeit und Menschenkenntniss, nebst Freigeisterei, und Alles sei so bescheiden durch die hässliche Sprache und die eifrige Dienstbeflissenheit dieser Bevölkerung versteckt, dass man kaum merke, hier mit den geistigen Feldwebeln Deutschlands und seinen Lehrmeistern in Gutem und Schlimmem zu thun zu haben. — Der Hochmuth der Norddeutschen werde durch ihren Hang zu gehorchen, der der Süddeutschen durch ihren Hang, sich’s bequem zu machen, in Schranken gehalten. — Es schiene ihm, dass die deutschen Männer in ihren Frauen ungeschickte, aber sehr von sich überzeugte Hausfrauen hätten: sie redeten so beharrlich gut von sich, dass sie fast die Welt und jedenfalls ihre Männer von der eigens deutschen Hausfrauen-Tugend überzeugt hätten. — Wenn sich dann das Gespräch auf Deutschlands Politik nach Aussen und Innen wendete, so pflegte er zu erzählen — er nannte es: verrathen —, dass Deutschlands grösster Staatsmann nicht an grosse Staatsmänner glaube. — Die Zukunft der Deutschen fand er bedroht und bedrohlich: denn sie hätten verlernt, sich zu freuen (was die Italiäner so gut verstünden), aber sich durch das grosse Hazardspiel von Kriegen und dynastischen Revolutionen an die Emotion gewöhnt, folglich würden sie eines Tages die Emeute haben. Denn diess sei die stärkste Emotion, welche ein Volk sich verschaffen könne. — Der deutsche Socialist sei eben desshalb am gefährlichsten, weil ihn keine bestimmte Noth treibe; sein Leiden sei, nicht zu wissen, was er wolle; so werde er, wenn er auch viel erreiche, doch noch im Genusse vor Begierde verschmachten, ganz wie Faust, aber vermuthlich wie ein sehr pöbelhafter Faust. „Den Faust-Teufel nämlich, rief er zuletzt, von dem die gebildeten Deutschen so geplagt wurden, hat Bismarck ihnen ausgetrieben: nun ist der Teufel aber in die Säue gefahren und schlimmer als je vorher.“