[MA-WS-189]
Der Baum der Menschheit und die Vernunft
Das, was ihr als Uebervölkerung der Erde in greisenhafter Kurzsichtigkeit fürchtet, giebt dem Hoffnungsvolleren eben die grosse Aufgabe in die Hand: die Menschheit soll einmal ein Baum werden, der die ganze Erde überschattet, mit vielen Milliarden von Blüthen, die alle neben einander Früchte werden sollen, und die Erde selbst soll zur Ernährung dieses Baumes vorbereitet werden. Dass der jetzige noch kleine Ansatz dazu an Saft und Kraft zunehme, dass in unzähligen Canälen der Saft zur Ernährung des Ganzen und des Einzelnen umströme, — aus diesen und ähnlichen Aufgaben ist der Maassstab zu entnehmen, ob ein jetziger Mensch nützlich oder unnütz ist. Die Aufgabe ist unsäglich gross und kühn: wir Alle wollen dazu thun, dass der Baum nicht vor der Zeit verfaule! Dem historischen Kopfe gelingt es wohl, das menschliche Wesen und Treiben sich im Ganzen der Zeit so vor die Augen zu stellen, wie uns Allen das Ameisen-Wesen mit seinen kunstvoll gethürmten Haufen vor Augen steht. Oberflächlich beurtheilt, würde auch das gesammte Menschenthum gleich dem Ameisenthum von „Instinct“ reden lassen. Bei strengerer Prüfung nehmen wir wahr, wie ganze Völker, ganze Jahrhunderte sich abmühen, neue Mittel ausfindig zu machen und auszuprobiren, womit man einem grossen menschlichen Ganzen und zuletzt dem grossen Gesammt-Fruchtbaume der Menschheit wohlthun könne; und was auch immer bei diesem Ausprobiren die Einzelnen, die Völker und die Zeiten für Schaden leiden, durch diesen Schaden sind jedesmal Einzelne klug geworden, und von ihnen aus strömt die Klugheit langsam auf die Maassregeln ganzer Völker, ganzer Zeiten über. Auch die Ameisen irren und vergreifen sich; die Menschheit kann recht wohl durch Thorheit der Mittel verderben und verdorren, vor der Zeit, es giebt weder für jene, noch für diese einen sicher führenden Instinct. Wir müssen vielmehr der grossen Aufgabe in’s Gesicht sehen, die Erde für ein Gewächs der grössten und freudigsten Fruchtbarkeit vorzubereiten, — einer Aufgabe der Vernunft für die Vernunft!