Facta Ficta

vitam impendere vero

Nietzsche thinking

[MA-WS-213]

Der Fanatiker des Misstrauens und seine Bürgschaft

Der Alte: Du willst das Ungeheure wagen und die Menschen im Grossen belehren? Wo ist deine Bürgschaft? — Pyrrhon: Hier ist sie: ich will die Menschen vor mir selber warnen, ich will alle Fehler meiner Natur öffentlich bekennen und meine Uebereilungen, Widersprüche und Dummheiten vor aller Augen blosstellen. Hört nicht auf mich, will ich ihnen sagen, bis ich nicht eurem Geringsten gleich geworden bin, und noch geringer bin, als er; sträubt euch gegen die Wahrheit, solange ihr nur könnt, aus Ekel vor Dem, der ihr Fürsprecher ist. Ich werde euer Verführer und Betrüger sein, wenn ihr noch den mindesten Glanz von Achtbarkeit und Würde an mir wahrnehmt. — Der Alte: Du versprichst zu viel; du kannst diese Last nicht tragen. — Pyrrhon: So will ich auch diess den Menschen sagen, dass ich zu schwach bin und nicht halten kann, was ich verspreche. Je grösser meine Unwürdigkeit, um so mehr werden sie der Wahrheit misstrauen, wenn sie durch meinen Mund geht. — Der Alte: Willst Du denn der Lehrer des Misstrauens gegen die Wahrheit sein? — Pyrrhon: Des Misstrauens, wie es noch nie in der Welt war, des Misstrauens gegen Alles und Jedes. Es ist der einzige Weg zur Wahrheit. Das rechte Auge darf dem linken nicht trauen, und Licht wird eine Zeitlang Finsterniss heissen müssen: diess ist der Weg, den ihr gehen müsst. Glaubt nicht, dass er euch zu Fruchtbäumen und schönen Weiden führe. Kleine harte Körner werdet ihr auf ihm finden, — das sind die Wahrheiten: Jahrzehende lang werdet ihr die Lügen händevoll verschlingen müssen, um nicht Hungers zu sterben, ob ihr schon wisset, dass es Lügen sind. Jene Körner aber werden gesäet und eingegraben, und vielleicht, vielleicht giebt es einmal einen Tag der Ernte: Niemand darf ihn versprechen, er sei denn ein Fanatiker. — Der Alte: Freund! Freund! Auch deine Worte sind die des Fanatikers! — Pyrrhon: Du hast Recht! Ich will gegen alle Worte misstrauisch sein. — Der Alte: Dann wirst du schweigen müssen. — Pyrrhon: Ich werde den Menschen sagen, dass ich schweigen muss und dass sie meinem Schweigen misstrauen sollen. — Der Alte: Du trittst also von deinem Unternehmen zurück? — Pyrrhon: Vielmehr, — du hast mir eben das Thor gezeigt, durch welches ich gehen muss. — Der Alte: Ich weiss nicht —: verstehen wir uns jetzt noch völlig? — Pyrrhon: Wahrscheinlich nicht. — Der Alte: Wenn du dich nur selber völlig verstehst! — Pyrrhon dreht sich um und lacht. — Der Alte: Ach Freund! Schweigen und Lachen, — ist das jetzt deine ganze Philosophie? — Pyrrhon: Es wäre nicht die schlechteste. —