Facta Ficta

vitam impendere vero

Nietzsche thinking

[MA-WS-214]

Europäische Bücher

Man ist beim Lesen von Montaigne, Larochefoucauld, Labruyère, Fontenelle (namentlich der dialogues des morts) Vauvenargues, Champfort dem Alterthum näher, als bei irgend welcher Gruppe von sechs Autoren anderer Völker. Durch jene Sechs ist der Geist der letzten Jahrhunderte der alten Zeitrechnung wieder erstanden, — sie zusammen bilden ein wichtiges Glied in der grossen noch fortlaufenden Kette der Renaissance. Ihre Bücher erheben sich über den Wechsel des nationalen Geschmacks und der philosophischen Färbungen, in denen für gewöhnlich jetzt jedes Buch schillert und schillern muss, um berühmt zu werden: sie enthalten mehr wirkliche Gedanken, als alle Bücher deutscher Philosophen zusammengenommen: Gedanken von der Art, welche Gedanken macht, und die — ich bin in Verlegenheit zu Ende zu definiren; genug dass es mir Autoren zu sein scheinen, welche weder für Kinder noch für Schwärmer geschrieben haben, weder für Jungfrauen noch für Christen, weder für Deutsche noch für — ich bin wieder in Verlegenheit, meine Liste zu schliessen. — Um aber ein deutliches Lob zu sagen: sie wären, griechisch geschrieben, auch von Griechen verstanden worden. Wie viel hätte dagegen selbst ein Plato von den Schriften unserer besten deutschen Denker, zum Beispiel Goethe’s, Schopenhauer’s, überhaupt verstehen können, von dem Widerwillen zu schweigen, welchen ihre Schreibart ihm erregt haben würde, nämlich das Dunkle, Uebertriebene und gelegentlich wieder Klapperdürre, — Fehler, an denen die Genannten noch am Wenigsten von den deutschen Denkern und doch noch allzuviel leiden (Goethe, als Denker, hat die Wolke lieber umarmt, als billig ist, und Schopenhauer wandelt nicht ungestraft fast fortwährend unter Gleichnissen der Dinge, statt unter den Dingen selber). — Dagegen, welche Helligkeit und zierliche Bestimmtheit bei jenen Franzosen! Diese Kunst hätten auch die feinohrigsten Griechen gutheissen müssen, und Eines würden sie sogar bewundert und angebetet haben, den französischen Witz des Ausdrucks: so Etwas liebten sie sehr, ohne gerade darin besonders stark zu sein.