Facta Ficta

vitam impendere vero

Nietzsche thinking

[MA-WS-43]

Problem der Pflicht zur Wahrheit

Pflicht ist ein zwingendes, zur That drängendes Gefühl, das wir gut nennen und für undiscutirbar halten (— über Ursprung, Gränze und Berechtigung desselben wollen wir nicht reden und nicht geredet haben). Der Denker hält aber Alles für geworden und alles Gewordene für discutirbar, ist also der Mann ohne Pflicht, — solange er eben nur Denker ist. Als solcher würde er also auch die Pflicht, die Wahrheit zu sehen und zu sagen, nicht anerkennen und diess Gefühl nicht fühlen; er fragt: woher kommt sie? wohin will sie?, aber diess Fragen selber wird von ihm als fragwürdig angesehen. Hätte diess aber nicht zur Folge, dass die Maschine des Denkers nicht mehr recht arbeitet, wenn er sich beim Acte des Erkennens wirklich unverpflichtet fühlen könnte? Insofern scheint hier zur Heizung das selbe Element nöthig zu sein, das vermittelst der Maschine untersucht werden soll. — Die Formel würde vielleicht sein: angenommen, es gäbe eine Pflicht, die Wahrheit zu erkennen, wie lautet die Wahrheit dann in Bezug auf jede andere Art von Pflicht? — Aber ist ein hypothetisches Pflichtgefühl nicht ein Widersinn? —