[MA-WS-44]
Stufen der Moral
Moral ist zunächst ein Mittel, die Gemeinde überhaupt zu erhalten und den Untergang von ihr abzuwehren; sodann ist sie ein Mittel, die Gemeinde auf einer gewissen Höhe und in einer gewissen Güte zu erhalten. Ihre Motive sind Furcht und Hoffnung: und zwar um so derbere, mächtigere, gröbere, als der Hang zum Verkehrten, Einseitigen, Persönlichen noch sehr stark ist. Die entsetzlichsten Angstmittel müssen hier Dienste thun, so lange noch keine milderen wirken wollen und jene doppelte Art der Erhaltung sich nicht anders erreichen lässt (zu ihren allerstärksten gehört die Erfindung eines Jenseits mit einer ewigen Hölle). Da muss es Foltern der Seele geben und Henkersknechte dafür. Weitere Stufen der Moral, und also Mittel zum bezeichneten Zwecke sind die Befehle eines Gottes (wie das mosaische Gesetz); noch weitere und höhere die Befehle eines absoluten Pflichtbegriffs mit dem „du sollst“, — Alles noch ziemlich grob zugehauene, aber breite Stufen, weil die Menschen auf die feineren, schmäleren, ihren Fuss noch nicht zu setzen wissen. Dann kommt eine Moral der Neigung, des Geschmacks, endlich die der Einsicht, — welche über alle illusionären Motive der Moral hinaus ist, aber sich klar gemacht hat, wie die Menschheit lange Zeiten hindurch keine anderen haben durfte.