Facta Ficta

vitam impendere vero

Nietzsche thinking

[MA-WS-8]

In der Nacht

Sobald die Nacht hereinbricht, verändert sich unsere Empfindung über die nächsten Dinge. Da ist der Wind, der wie auf verbotenen Wegen umgeht, flüsternd, wie Etwas suchend, verdrossen, weil er’s nicht findet. Da ist das Lampenlicht, mit trübem, röthlichem Scheine, ermüdet blickend, der Nacht ungern widerstrebend, ein ungeduldiger Sclave des wachen Menschen. Da sind die Athemzüge des Schlafenden, ihr schauerlicher Tact, zu dem eine immer wiederkehrende Sorge die Melodie zu blasen scheint, — wir hören sie nicht, aber wenn die Brust des Schlafenden sich hebt, so fühlen wir uns geschnürten Herzens, und wenn der Athem sinkt und fast in’s Todtenstille erstirbt, sagen wir uns „ruhe ein Wenig, du armer gequälter Geist!“ — wir wünschen allem Lebenden, weil es so gedrückt lebt, eine ewige Ruhe; die Nacht überredet zum Tode. — Wenn die Menschen der Sonne entbehrten und mit Mondlicht und Oel den Kampf gegen die Nacht führten, welche Philosophie würde um sie ihren Schleier hüllen! Man merkt es ja dem geistigen und seelischen Wesen des Menschen schon zu sehr an, wie es durch die Hälfte Dunkelheit und Sonnen-Entbehrung, von der das Leben umflort wird, im Ganzen verdüstert ist.