Facta Ficta

vitam impendere vero

Nietzsche thinking

[MA-WS-123]

Affectation der Wissenschaftlichkeit bei Künstlern

Schiller glaubte, gleich anderen deutschen Künstlern, wenn man Geist habe, dürfe man über allerlei schwierige Gegenstände auch wohl mit der Feder improvisiren. Und nun stehen seine Prosa-Aufsätze da, — in jeder Beziehung ein Muster, wie man wissenschaftliche Fragen der Aesthetik und Moral nicht angreifen dürfe, — und eine Gefahr für junge Leser, welche, in ihrer Bewunderung des Dichters Schiller, nicht den Muth haben, vom Denker und Schriftsteller Schiller gering zu denken. — Die Versuchung, welche den Künstler so leicht und so begreiflicherweise befällt, auch einmal über die gerade ihm verbotene Wiese zu gehen und in der Wissenschaft ein Wort mitzusprechen — der Tüchtigste nämlich findet zeitweilig sein Handwerk und seine Werkstätte unausstehlich —, diese Versuchung bringt den Künstler so weit, aller Welt zu zeigen, was sie gar nicht zu sehen braucht, nämlich, dass es in seinem Denkzimmerchen eng und unordentlich aussieht — warum auch nicht? er wohnt ja nicht darin! —, dass die Vorrathsspeicher seines Wissens theils leer, theils mit Krimskrams gefüllt sind — warum auch nicht? es steht diess sogar im Grunde dem Künstler-Kinde nicht übel an —, namentlich aber, dass selbst für die leichtesten Handgriffe der wissenschaftlichen Methode, die selbst Anfängern geläufig sind, seine Gelenke zu ungeübt und schwerfällig sind — und auch dessen braucht er sich wahrlich nicht zu schämen! — Dagegen entfaltet er oftmals keine geringe Kunst darin, alle die Fehler, Unarten und schlechten Gelehrtenhaftigkeiten, wie sie in der wissenschaftlichen Zunft vorkommen, nachzuahmen, im Glauben, diess eben gehöre, wenn nicht zur Sache, so doch zum Schein der Sache; und diess gerade ist das Lustige an solchen Künstler-Schriften, dass hier der Künstler, ohne es zu wollen, doch thut, was seines Amtes ist: die wissenschaftlichen und unkünstlerischen Naturen zu parodiren. Eine andere Stellung zur Wissenschaft, als die parodische, sollte er nämlich nicht haben, soweit er eben der Künstler und nur der Künstler ist.