[MA-WS-285]
Ob der Besitz mit der Gerechtigkeit ausgeglichen werden...
Ob der Besitz mit der Gerechtigkeit ausgeglichen werden kann. — Wird die Ungerechtigkeit des Besitzes stark empfunden — der Zeiger der grossen Uhr ist einmal wieder an dieser Stelle —, so nennt man zwei Mittel, derselben abzuhelfen: einmal eine gleiche Vertheilung, und sodann die Aufhebung des Eigenthums und den Zurückfall des Besitzes an die Gemeinschaft. Letzteres Mittel ist namentlich nach dem Herzen unserer Socialisten, welche jenem alterthümlichen Juden darüber gram sind, dass er sagte: du sollst nicht stehlen. Nach ihnen soll das siebente Gebot vielmehr lauten: du sollst nicht besitzen. — Die Versuche nach dem ersten Recepte sind im Alterthum oft gemacht worden, zwar immer nur in kleinem Maassstabe, aber doch mit einem Misserfolg, der auch uns noch Lehrer sein kann. „Gleiche Ackerloose“ ist leicht gesagt; aber wieviel Bitterkeit erzeugt sich durch die dabei nöthig werdende Trennung und Scheidung, durch den Verlust von altverehrtem Besitz, wieviel Pietät wird verletzt und geopfert! Man gräbt die Moralität um, wenn man die Gränzsteine umgräbt. Und wieder, wieviel neue Bitterkeit unter den neuen Besitzern, wieviel Eifersucht und Scheelsehen, da es zwei wirklich gleiche Ackerloose nie gegeben hat, und wenn es solche gäbe, der menschliche Neid auf den Nachbar nicht an deren Gleichheit glauben würde. Und wie lange dauerte diese schon in der Wurzel vergiftete und ungesunde Gleichheit! In wenigen Geschlechtern war durch Erbschaft hier das eine Loos auf fünf Köpfe, dort waren fünf Loose auf Einen Kopf gekommen: und im Falle man durch harte Erbschaftsgesetze solchen Missständen vorbeugte, gab es zwar noch die gleichen Ackerloose, aber dazwischen Dürftige und Unzufriedene, welche Nichts besassen, ausser der Missgunst auf die Anverwandten und Nachbarn und dem Verlangen nach dem Umsturz aller Dinge. — Will man aber nach dem zweiten Recepte das Eigenthum der Gemeinde zurückgeben und den Einzelnen nur zum zeitweiligen Pächter machen, so zerstört man das Ackerland. Denn der Mensch ist gegen Alles, was er nur vorübergehend besitzt, ohne Vorsorge und Aufopferung, er verfährt damit ausbeuterisch, als Räuber oder als lüderlicher Verschwender. Wenn Plato meint, die Selbstsucht werde mit der Aufhebung des Besitzes aufgehoben, so ist ihm zu antworten, dass, nach Abzug der Selbstsucht, vom Menschen jedenfalls nicht die vier Cardinaltugenden übrig bleiben werden, — wie man sagen muss: die ärgste Pest könnte der Menschheit nicht so schaden, als wenn eines Tages die Eitelkeit aus ihr entschwände. Ohne Eitelkeit und Selbstsucht — was sind denn die menschlichen Tugenden? Womit nicht von ferne gesagt sein soll, dass es nur Namen und Masken von jenen seien. Plato’s utopistische Grundmelodie, die jetzt noch von den Socialisten fortgesungen wird, beruht auf einer mangelhaften Kenntniss des Menschen: ihm fehlte die Historie der moralischen Empfindungen, die Einsicht in den Ursprung der guten nützlichen Eigenschaften der menschlichen Seele. Er glaubte, wie das ganze Alterthum, an gut und böse wie an weiss und schwarz: also an eine radicale Verschiedenheit der guten und der bösen Menschen, der guten und der schlechten Eigenschaften. — Damit der Besitz fürderhin mehr Vertrauen einflösse und moralischer werde, halte man alle Arbeitswege zum kleinen Vermögen offen, aber verhindere die mühelose, die plötzliche Bereicherung; man ziehe alle Zweige des Transports und Handels, welche der Anhäufung grosser Vermögen günstig sind, also namentlich den Geldhandel, aus den Händen der Privaten und Privatgesellschaften — und betrachte ebenso die Zuviel- wie die Nichts-Besitzer als gemeingefährliche Wesen.